Dienstag, 15. Mai 2018

Schwangerschaftsyoga – Interview mit Anja Wiedemann, Yogalehrerin BDY



Fotografie: freestocks/ pexels


In meiner Schwangerschaft habe ich begeistert und ganz fleißig jede Woche Schwangerschaftsyoga gemacht und gemerkt, welchen Unterschied es machte, wenn ich zum Yoga ging. Diese Erfahrung möchte ich gern mit euch teilen und so kam ich auf die Idee mit Anja, meiner Yoga-Lehrerin, ein Interview zu führen.


Liebe Anja,

ich freue mich wahnsinnig, dass du ohne zu Zögern gleich „Ja“ zu meiner Interviewidee gesagt hast. Zwischen der 15. und 31. Schwangerschaftswoche ging ich wöchentlich zum Schwangerschaftsyoga bei dir und es hat mir viel mehr geholfen als ich erwartet habe – besonders zu Beginn in meiner Zeit mit starker Schwangerschaftsübelkeit (Hyperemesis gravidarum). Ich bin fasziniert und kam daher auf die Idee das Thema als Experteninterview hier im Blog mal vorzustellen :)

Als Einstieg wäre es schön, wenn du dich etwas vorstellst. Auf deiner Webseite habe ich gelesen, dass du Architektin bist – wie wird eine Architektin Yogalehrerin?

Mein Name ist Anja Wiedemann. Ich bin seit 2014 Yogalehrerin, von Anfang an mit dem Schwerpunkt Yoga für Frauen vor und nach der Geburt. Eigentlich bin ich Architektin, doch meine eigene Yogapraxis hat mich sehr neugierig gemacht und ich wollte mehr über den Weg des Yoga und die Hintergründe wissen. Während der Yogalehrerausbildung bin ich mit meinem dritten Kind schwanger geworden und so hat sich alles wie von selbst ergeben. Mittlerweile arbeite ich mit viele Freude hauptberuflich als Yogalehrerin in Dresden.

Welche Qualifikationen berechtigen dich zur Yogalehrerin? Was bedeutet Yogalehrerin BDY?

Yogalehrer/in ist in Deutschland keine geschützte Bezeichnung und kein staatlich anerkannter Beruf. Der BDY, der Berufsverband der Yogalehrenden, setzt seit vielen Jahren auf eine solide Ausbildung von Yogalehrern. Ich habe meine Ausbildung zur Yogalehrerin bei Medita in Dresden absolviert, deren Ausbildungsdauer und Lehrinhalte vom BDY anerkannt werden. Für meine Spezialisierung habe ich die Pre- und Postnatal Yogalehrerausbildung bei Patricia Thielemann von Spirit Yoga, Berlin absolviert.

Du hast dich auf Yoga für Schwangere und Yoga nach der Geburt spezialisiert. Warum gerade dieser Schwerpunkt?

Ich glaube, mein drittes Kind, welches während meiner Yogalehrerausbildung geboren wurde, hat mir das Thema geschenkt und ich habe gemerkt, dass ich viel Empathie für Frauen in diesen besonderen Umständen in mir trage.

Welche gesundheitlichen Vorteile siehst du im Schwangerenyoga?

Den Erfahrungen nach, die die Frauen in den Kursen mitteilen, hilft Yoga in dieser oft besonderen und auch fordernden Zeit, zu entspannen. Die sanft ausgeführten Asanas - Yogahaltungen synchronisieren Atem und Bewegung, es entsteht ein ruhiges, bewusstes Üben und ganz wichtig und für die Frauen spürbar - der Körper bleibt in Bewegung, die Muskeln werden gekräftigt. Haltung und Aufrichtung und die eigene Körperwahrnehmung können sich verbessern.

Mir hat das Yoga, wie schon oben geschrieben, sehr gegen meine Übelkeit geholfen – zumindest so weit, dass es mir an dem Tag besser ging… Woran liegt das?

Yoga kann gegen Übelkeit helfen. Eine mögliche Erklärung ist meiner Meinung nach, dass die Entspannungs- und Atemübungen das vegetative Nervensystem beruhigen und zudem die sanften Bewegungen manchmal Spannungen lösen können, so dass auch das Verdauungssystem davon profitiert, welches in der Zeit der Schwangerschaft sehr gefordert wird durch die Schwangerschaftshormone und einfach auch durch Platzmangel.

Im Yogakurs tönten wir jede Woche das A, O, U und M in Vorbereitung auf die Geburt. Inwiefern kann das Tönen unter der Geburt helfen? Wie finde ich den „richtigen Ton“ für mich?

Das Tönen im Prenatal Yoga ist für mich immer wieder ein schöner Teil der Yogastunde. Bei der Geburt entstehen oft Töne "ganz aus dem Bauch heraus". Im Yoga, ganz unter Frauen, kann das schon ausprobiert werden. So verliert sich im besten Fall die Hemmung vor dem Tönen, das Baby wird schon mit Mamas Tönen bekannt gemacht. 
Im geburtsbegleitenden Tönen liegen einige Vorteile: Das Tönen verlängert den Ausatem, dieser steht dann länger wehenbegleitend zur Verfügung. Das Tönen "tonisiert" und entspannt über sanftes Schwingen und Vibrieren den Körper, so dass die Frau während der Kontraktion der Gebärmutter um diese große Muskelanspannung herum loslassen kann, so kann die Gebärmutter ungehindert ihren Anteil leisten, das Kind auf den Weg zu bringen. Zudem können Töne beruhigen und entspannen, das nutzen wir auch, wenn die Kinder dann geboren sind und wir ihnen ein Schlaflied summen.
Es gibt nicht den einen "richtigen" Ton. Intuitiv bahnt sich der Ton seine Bahn, der gerade eben genau richtig ist. Oft spüren wir Frauen während der Schwangerschaft, dass wir in einer guten Verbindung mit unserer inneren Stimme - unserer Intuition sind, das kann wunderbar für die Geburt genutzt werden.

Wann ist der perfekte Zeitpunkt, um mit dem Yoga in der Schwangerschaft zu beginnen?

Prenatal Yoga kann, nach dem anfänglichen Nestbau ab der 12. Schwangerschaftswoche (SSW) geübt werden. Viele Frauen beginnen um die 20. SSW herum.

Gibt es irgendwelche Voraussetzungen, damit eine Schwangere Yoga machen „darf“? Gibt es Kontraindikationen, also körperliche Voraussetzungen, die das verbieten würden?

Jede gesunde Schwangere darf Yoga machen. Bei Beschwerden, die über das normale Maß hinausgehen, sollte ein fachlicher Rat eingeholt werden. Wichtig ist es, die Yogalehrerin über Einschränkungen und Beschwerden zu unterrichten. Einige Krankheitsbilder lassen keine Yogapraxis zu, andere wie z. B. Schwangerschaftsdiabetes, können durch Yoga gut begleitet werden.

Darf man Yoga bis zum Geburtstermin praktizieren oder ist das ab einem gewissen Punkt wehenauslösend? Oder kann es gar mögliche Komplikationen (wie Beckenendlage) beheben?

Prenatal Yoga kann, wenn es der Schwangeren gut geht, bis zur Geburt geübt werden. Viele schwangerschaftsbedingte Beschwerden können dadurch gelindert werden. Bei starken und krankhaften Beschwerden sollte vor der Yogapraxis die Hebamme oder die Ärztin/der Arzt konsultiert werden.
Ob Yoga eine Beckenendlage beeinflussen kann, ist nicht nachweisbar. Es gibt Haltungen im Vierfüßlerstand und in der "Indischen Brücke" - der Schulterbrücke, die geübt werden können, um das Kind anzuregen, sich zu bewegen. Alle Atemübungen und mentale Übungen helfen hier, sich in Ruhe auf dieses Thema einzulassen und einen eigenen Umgang damit zu finden - bleibe ich entspannt und tue nichts, oder nutze ich entspannt die Möglichkeiten für eine eventuelle Wendung wie Moxen oder Akupunktur, Osteopathie oder die äußere Wendung in der Klinik, oder die spontane Geburt in Beckenendlage.

Dürfen auch Mehrlingsmütter Yoga machen? Was könnte hier vielleicht sogar der konkrete Vorteil sein?

Immer wieder besuchen Mehrlings-, meistens Zwillingsmütter die Prenatal Yogakurse. Wenn es der werdenden Mehrlingsmama den besonderen Umständen entsprechen gut geht, kann sie wie alle anderen werdenden Mütter von den Yoga- und Atemübungen profitieren - zur Ruhe kommen und in Bewegung bleiben.

Ab wann kann man mit Baby/s deine Yogakurse wieder besuchen und warum würdest du das empfehlen?

Mit Postnatal Yoga kann ab der 9. Woche nach der Geburt gestartet werden. Diese Yogakurse sind über das erste Jahr und manchmal länger, dann in Kursen ohne Babys, ein guter Wegbegleiter. Die Frauen, die die Kurse besuchen, finden Bewegung, Kräftigung und Entspannung in den Yogaübungen, lernen kleine Baby-Yogaübungen und zugleich freuen sie sich über den Austausch mit den anderen Müttern.


Ich danke dir für deine Zeit und die interessanten Antworten  :)

Hier findet ihr den Link zu Anjas Webseite.

Alles Liebe, Anne von Herzensbande.

Montag, 7. Mai 2018

Monat 3 mit Zwillingen

Fotografie: Anne Siedentopf




Und wieder ist ein Monat rum, meine Herzbuben sind nun schon über 12 Wochen alt und letzten Donnerstag waren sie genau ein Vierteljahr. Wahnsinn wie die Zeit rennt, aber ihr kennt das sicherlich…

In den letzten vier Wochen hat sich einiges getan, vor allem ist es etwas entspannter geworden. Die beiden trinken nicht mehr ganz so viel, die Stillpausen werden länger und die Wachphasen auch. Das war am Anfang ungewohnt – was macht man mit einem wachen Baby? Satt, gewindelt, rumgetragen, ausgeschlafen und nun?

Vor allem der Kleine Herzbube nutzte seine Wachphase noch um viel zu schimpfen, so dass mir noch weniger Zeit für den Großen Herzbuben blieb. Den ich ja eigentlich stillte, umsorgte und herztste wenn der Kleine schlief. Ein anderer Plan musste her und so begann ich ihn im Sling zu tragen. So konnte ich den Großen stillen und auch hochnehmen. Richtig perfekt war das aber noch nicht, weil ich trotzdem beide vorn bzw. seitlich hatte und der Kleine im Sling irgendwie im Weg war. Das ihm das Tragen aber gefiel, wurde sofort klar. Er lächelte, wenn ich das Tuch auspackte – klar, er war ja auch sonst ständig auf meinem Arm. Immerhin konnte ich so auch mal ein paar Dinge tun ohne Armschmerzen zu bekommen.

Dennoch suchte ich nach einer besseren Lösung und bekam fachmännische Unterstützung von Yvonne von Bindungsstoffe, die mir eine Trage aus Tragetuchstoff (Mysol) auslieh. Seitdem ist es echt genial J Ich kann den Kleinen Herzbuben in Ruhe auf dem Rücken tragen, er hat Nähe und kann selig schaukelnd einschlafen und ich habe die Hände frei, um auch den Großen Herzbuben zu stillen und rumzutragen und sogar im Haushalt was zu machen – yeah! Körperlich ist es zwar auch anstrengend für mich, denn nun habe ich noch mehr Last zu tragen, aber sonst ist es toll. Denn nun wird hier viel weniger geweint und auch die Abende haben sich etwas entspannt und strukturiert.

Die Herzbuben werden zwischen 18 und 19 Uhr gestillt und bekuschelt. Dann kommt der Große in die Federwiege und lauscht und schaut seinem drehenden Mobilé zu und der Kleine kommt in die Trage und wird in den Schlaf getragen. So kommt keiner der beiden mehr in ein Müdigkeitsloch. Am Ende bringe ich beide in unser Familienbett und stille je nachdem ob einer wach wird nochmal und bleibe da bis beide richtig fest schlafen, das ist immerhin nun auch etwas eher gegen halb neun. So dass ich durch die gewonnene Ruhe beim Rumtragen auch Zeit für Haushalt und das Herzmädchen habe und bei der Einschlafbegleitung um mal ein bisschen soziale Kontakte per Handy zu pflegen.

Auf jeden Fall tut es uns als Eltern mental sehr gut, dass es abends nun ruhiger ist. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch aufregendere Tage und Abende, wo es  - wie Ende der Woche – doch zu mehr Weinen und Durcheinander kommt, weil eben Neues verarbeitet werden muss, aber die Mehrzahl der Tage funktioniert es J

Insgesamt habe ich schon nach zwei Tagen gemerkt wieviel entspannter der Kleine ist, seit er regelmäßig getragen wird und immer lächelt, wenn die Trage ausgepackt wird. Nun muss ich nur noch mit meinem schlechten Gewissen klar kommen, dass ich es nicht noch schaffe den Großen Herzbuben so viel zu tragen. Ich habe zwar mehr Zeit für ihn und ich nehme mir auch immer bewusst welche, wenn der Kleine Herzbube schläft, aber ich schaffe es körperlich nicht ihn in meinen Tragepausen auch noch zu tragen, sondern nehme ihn einfach auf den Arm so oft ich kann oder kuschel im Liegen mit ihm.

Wenn sie wach sind, liegen die Herzbuben auch beide gerne unter unserem Spieletrapez Wie ihr oben sehen könnt) und strampeln rum und fangen an manchmal die Figuren zu treffen.

Ach und was es natürlich sehr hilfreich gestaltet: Der Kleine Herzbube nimmt nun auch einen Schnuller und hat so die Möglichkeit sich mal kurz selbst zu beruhigen. So entstehen kurze Momente in denen ich ihn wach ohne Weinen ablegen kann. Außerdem hat er sich in diesem Monat Zwischentöne zugelegt. Es gibt jetzt nicht nur laut, sondern auch ein leises oder mittelleises Weinen und Jammern. Das ist angenehm. So weiß ich ja trotzdem, dass er mich braucht, aber es geht nicht so an die Substanz!

Zu den längeren Stillfreien- und Wachphasen kamen nachts auch langsam längere Schlafphasen hinzu. So dass ich in ganz tollen Nächten mal auf drei Stunden Schlaf am Stück kam und in schlechten Nächten (so um den 10 Wochen Schub herum) wie vorher auf vielleicht eine am Stück. Naja, man nimmt es wie es kommt. Mit Zwillingen habe ich mir abgewöhnt Pläne zu schmieden oder mir vorher Sorgen zu machen. So kann ich innerlich entspannt sein. Ich habe meine wenigen wichtigen „to-do´s“ am Tag, die ich mir passend einbaue und an manchen bin ich total überrascht und schaffe mit drei Kindern ganz viel und an manchen fast nichts. So ist es eben grad und es hilft mir die Gangart noch in „slow motion“ zu lassen, so entsteht wenig Druck und Erwartungen und dadurch mehr Glück durch Spontanität für mich ;)

Übrigens denke ich, dass sich die Schlafphasen auch verbessert haben, weil wir nachts den jeweils anderen Zwilling nicht mehr zum Windeln oder Stillen geweckt haben. Wir haben das nach Bedarf angepasst und so den Jungs die Chance gegeben ihren eigenen (teilweise eben auch längeren Rhythmus) zu entwickeln. Das war eine richtig gute Entscheidung und angestoßen durch eine Gruppendiskussion bei Facebook. Ich bin echt dankbar für diese Gruppe und die anderen Zwillingsmamis! Da wird jede mit ihrem Anliegen unterstützt und es gibt echt null Mamabashing wie in manch anderen Gruppen. Naja, Zwillingsmamas haben für so was eben einfach keine Zeit ;)

Die wunderschönste Entwicklung in den letzten Wochen ist das Brabbeln und Erzählen. Besonders der Große erzählt mir total viel und führt kleine Gespräche mit mir. Da geht mein Mamaherz so auf und ich genieße diese ganz besonderen Momente mit meinen zwei Herzbuben… auch wenn ich sie nebeneinander liegen habe und beide mich anstrahlen, einfach weil ich ihre Mama bin und dann „loserzählen“ mit ihren wwww, au, ooo und irre-Lauten – soooooo schöööööön!!

Ich wünsch euch auch solch herzige Momente in nächster Zeit,

eure Anne.

Sonntag, 29. April 2018

Kindheit ohne Strafen – Vortrag mit Katharina Saalfrank


Fotografie: Anne Siedentopf



Vorletzte Woche hatte ich das erstmal Freigang, denn ich hatte das Glück kurzfristig und um drei Ecken eine Karte für den Vortrag im Dresdner Hygiene Museum mit Katia Saalfrank (veranstaltet von der Krankenkasse DAK) zu bekommen. Ich habe mich riesig gefreut, da ich doch zu spät davon erfahren hatte und er restlos ausgebucht war – yeah!

18.00 Uhr ging es los und ich konnte die folgenden zwei Stunden entspannt zuhören und vom Still- und Windelwahnsinn gut abschalten, weil sich mein Mann und meine Schwiegermutti netterweise um alle Kids bei strahlendem Sonnenschein im Park davor gekümmert haben. Inzwischen weiß ich auch, dass wirklich alles super geklappt hat und die Jungs sich zwischendurch ein Fläschchen geteilt haben und dann wieder eingeschlafen sind.

Ohne irgendwas geplant zu haben traf ich mehrere Freudinnen und war also in netter Gesellschaft und ich durfte sogar bevor es losging Frau Saalfrank am Waschbecken der Toilette noch viel Spaß beim Vortrag wünschen J

Ich finde das Thema ungemein wichtig und gleichzeitig ungemein schwer, wie wir hier auch immer wieder im Alltag merken, wie unsere eigenen Gefühle und Muster aus unserer Erziehung uns steuern. Dann kommen „wenn…dann“ Sätze, Konsequenzen oder andere nicht sehr verbindende Sätze aus unserem Mund. Es ist aber auch herausfordernd mit einem fast vierjährigen Herzmädchen, dass zu Allem seine eigene Meinung hat. Ich war also sehr gespannt, was ich nun nochmal Neues mitnehmen werde!

Katia Saalfrank kam also 18.00 Uhr auf die Bühne des vollen Raumes und gleich (wie auch schon zuvor in der kurzen Sekunde auf Toilette) fällt einem ihre angenehme, lächelnde, sympathische Art und ihre sanfte Stimme auf. Sie beginnt sich und ihre Arbeit, die für sie absolute Berufung und nicht nur Beruf ist, vorzustellen und alle sind sofort von ihrer Kompetenz überzeugt als sie erzählt, dass sie selbst 4 Kinder und auch Fehler gemacht hat. Alle atmen durch: sie kennt den alltäglichen Wahnsinn, die Herausforderungen und bringt nicht nur nette Theorien mit. Sie möchte uns Duzen und fragt ein bisschen mit Handzeichen ab, wer so da ist, um uns kennenzulernen. Und bittet darum, unvoreingenommen und offen (so wie es unsere Kinder auch sind) zuzuhören.

Fotografie: Anne Siedentopf


Dann beginnt sie ihren Vortrag, den sie mit übersichtlichen Folien und süßen Comics unterstützt und erklärt erst mal, dass Kinder Respekt von ihren Bindungspersonen lernen, indem diese dauerhaft wertschätzend sind und die kindlichen Grenzen wahren. Sie plädiert für eine neue „Form der Führung“, die nichts damit zu tun hat keine Grenzen zu haben.

Insgesamt sei es ganz normal, dass dort wo Menschen zusammenleben Konflikte entstehen. Es geht also nicht darum, diese zu vermeiden, sondern konstruktiv zu lösen und auf die Ursachen zu schauen (was war los?) und gemeinsam mit den Kindern Alternativen für diesen Konflikt zu erarbeiten. Hilfreich ist dabei, das Wort ABER wegzulassen und lieber mit UND zu arbeiten. Denn ein „Ich verstehe dich, aber wir gehen jetzt nach Hause“ trennt, wohingehen ein „ich verstehe dich und wir gehen jetzt nach Hause“ verbindet und Raum lässt.

Bevor Frau Saalfrank tiefer auf das Thema „Kindheit ohne Strafen“ eingeht, stellt sie noch die Begriffe bindungs- und beziehungsorientiert vor. Wichtig ist hierbei vor allem, dass sich ihre Herangehensweise nicht wie bei der klassischen Verhaltenspädagogik am Verhalten, sondern an der emotionalen Ebene orientiert.

Ich finde diesen Punkt enorm wichtig, wenn man in Beziehung leben will und bevor man sich damit beschäftigt, wie man nicht straft. Dieser Unterschied bildet meiner Meinung nach die Basis, die Haltung von bindungs- und beziehungsorientiert. Direktiv auf das Verhalten zu schauen, es zu bewerten und Konsequenzen zu ziehen ist im Prinzip einfach. Hingegen auf die Gefühlswelt, die Motive, die Ursachen hinter dem Verhalten unserer Kinder zu schauen schwer. Denn dafür braucht es Zeit und eben eine Beziehung, ein Sich-Kennen, um Emotionen hinter Verhalten wahrzunehmen und zu verstehen.

Genau darauf möchte Frau Saalfrank auch hinaus, wenn sie sich danach mit uns die Grundemotionen wie Wut, Trauer, Freude etc. anschaut und erklärt, dass es unsere Aufgabe als Eltern ist unsere Kinder darin zu begleiten. Durch diese Co-Regulation lernen Kinder mit ihren Emotionen umzugehen und ihren innerlichen Stress herauszulassen. Dies beginnt schon bei kleinen Babys.

Sie sagt, dass Eltern das intuitiv oft „richtig“ machen wollen, der gesellschaftliche, oft auch schulische, Druck führen jedoch oft zu Verunsicherung und Machtkämpfen. Schlechtes Verhalten und schlechte Zensuren werden von außen und von den Eltern selbst oft so gedeutet, dass die Eltern vermeintlich „schlecht erziehen“, Druck und Handlungszwang entstehen, Strafen werden verhängt, um diesem inneren und äußeren Druck gerecht zu werden. Denn die Botschaft an die Eltern ist, wie sie sagt: „strafe ich nicht, wird mein Kind asozial“.

Fotografie: Anne Siedentopf


Damit kommt Katharina Saalfrank endgültig beim Kernthema Strafen an und nimmt vorweg, dass mit dem schönen Wort „natürliche“ Konsequenz auch oft nichts anderes als eine Strafe gemeint ist. Also prinzipiell ein manipulativer Umgang mit Kindern. Dabei ist die Konsequenz, wenn ein Glas umkippt nicht, dass das Kind das Wasser aufwischen muss, sondern dass das Glas leer ist.

Sie stellt erst mal vor, welche Grundannahmen sie beim Thema "Kindheit ohne Strafen" voraussetzt:

  1. Kinder sind Teamworker (auch wenn jetzt vielleicht einige denken: „meine nicht“)
  2. Kinder wissen viel viel weniger als wir
  3. Kinder haben ein viel kleineres Nervensystem als wir und sind schnell überfordert


Und damit ist sie auch schon mitten in der Erklärung von fehlender Zusammenarbeit seitens der Kinder. Kinder machen meist nicht das was man ihnen sagt, wenn sie zum einen überfordert sind (zum Beispiel durch Müdigkeit oder eben emotionale und kognitive Weise) oder wenn sie vorher gekränkt wurden. An dieser Stelle verweist sie wieder auf den Anfang. Denn wenn ich als Elternteil möchte, dass das Kind meine Grenzen wahrt, muss ich auch seine achten. Strafe ist aber ein Machtmissbrauch, demütigend, verhindert Beziehung und erzeugt Ängste. Da dürfen sich Eltern, laut der Pädagogin, auch nicht wundern, wenn Kinder beginnen zu lügen und kein Vertrauen mehr haben, sich mit eigenen Themen und Fragen an sie zu wenden.

Fotografie: Anne Siedentopf


Wichtig ist ihr auch zu erklären, dass diese Zusammenhänge nicht nur ihr wichtig sind und in ihrer Arbeit deutlich geworden, sondern dass es ebenfalls wissenschaftliche Erkenntnisse dazu gibt. Man hat unter anderem herausgefunden, dass Strafen und emotionaler Ausschluss („Geh auf dein Zimmer“) im Gehirn genauso wirken wie körperlicher Schmerz und dafür sorgen, dass Teile des emotionalen Systems verloren gehen. Um sich zu schätzen kappt das Gehirn bestimmte Empfindungen, wenn es zu schmerzhaft wird und so kann auch Empathie nicht mehr gut entwickelt werden. Das betrifft sowohl Empathie für andere als auch Selbstemphathie. Übrigens ist das ein entscheidender Punkt warum wir teilweise nicht mit unseren Kindern mitfühlen und Strenge walten lassen, weil wir es selbst nicht erfahren haben und unsere Selbstempathie lieber gekappt haben. Es ist also an der Zeit wieder mitfühlender mit uns und anderen zu werden.

Nach diesen vielen Informationen und theoretischen Erkenntnissen stellt Frau Saalfrank zum Schluss noch ein Beispiel der kleinen vierjährigen Lea vor und bietet uns damit eine Alternative zum herkömmlichen Muster von Erziehung.

Fotografie: Anne Siedentopf


Lea und ihre Mutter haben jeden Abend Streit ums Aufräumen und nach Monologen, Belohnung, Bestrafung sowie Eskalation sind sowohl Lea als auch ihre Mutter sehr unzufrieden. An diesem Punkt hat Frau Saalfrank Leas Mutter ein „Kakao-Küchen-Gespräch“ vorgeschlagen.

Sie schlägt also vor sich in einer ruhigen Minute, fern vom Streitgeschehen, zusammen zu setzen und das Thema zu besprechen. Dabei ist die erste Herausforderung für uns Eltern das Verständnis, sich zuzuhören und herauszufinden, was auch das Kind zu dieser Situation denkt und auch selbst zu erzählen und auf Fragen des Kindes ehrlich zu antworten. Dabei muss dieses Gespräch nicht sofort zur abgeschlossenen Lösung führen, es ist ein Prozess.

Nachdem Lea und ihre Mutter herausgefunden haben was beiden wichtig ist (Lea: Erbautes auch stehen lassen zu können, Mutter: sich nicht beim Gehen im Kinderzimmer zu verletzen), konnten sie einen Kompromiss finden  (Lea räumt einen „Weg“ frei und wenn nicht winkt die Mutter von der Tür zum Gute-Nacht-Sagen).

Übrigens ein guter Trick zur Überprüfung: Lea wollte wissen, warum sie aufräumen muss und Papa nicht? Genau! Fragen wir uns doch einfach öfter, ob wir so auch mit unserem Partner reden würden ;)

Nach dem Vortrag können einige aus dem Publikum noch Fragen stellen und dann kann man ihre Bücher erwerben und eine Widmung von Frau Saalfrank bekommen. Ich ergreife die Chance, ganz am Rand sitzend, kaufe mir das Buch zum Vortrag und husche schnell raus in die Sonne zu meiner Familie.

Bis jetzt konnte ich ein wenig quer lesen und es liest sich so angenehm, wie Frau Saalfrank erzählt. Somit kann ich sowohl den Vortrag als auch das Buch empfehlen. Letzteres finde ich eine schöne Ergänzung, da aufgrund der Zeit die praktische Umsetzung des „ohne Strafen“ ein wenig zu kurz kam, im Buch aber verschiedene Beispiele aufgeführt werden. Wer in einer anderen Stadt dieser Vortragsreihe also die Gelegenheit hat, sollte hingehen J


Eure Anne


Freitag, 13. April 2018

8 Wochen mit Zwillingen

Fotografie: Anne Siedentopf


Letztens habe ich meine zwei süßen Jungs, die jetzt übrigens schon ganz herzig lachen können, mit ihrer Meilensteinkarte „8 Wochen“ fotografiert. Wow, 8 Wochen sind bereits um! Zeit für einen Rückblick dachte ich mir.

Die ersten Tage


Viel hat sich in dieser Zeit verändert. Die Tage nach dem Kaiserschnitt im Krankenhaus gingen gleichermaßen schnell und langsam herum. Langsam, weil die Schmerzen und die fehlende Beweglichkeit lästig waren und ich so abhängig mit der Pflege meiner Jungs war. Schnell, weil die beiden noch so klein waren und die erste Zeit des Kennenlernens und des Kuschelns eben rasant weg war. Ich erinnere mich wie ich gern öfter gekuschelt hätte, aber nicht aufstehen und sie hochheben konnte, sondern von anderen abhängig war. Außerdem musste ich zu der Zeit noch abpumpen, um die Milchproduktion anzuregen und zufüttern. Die Odyssee von windeln, stillen, zufüttern, abpumpen hat besonders nachts ewig gedauert und zu gaaanz wenig Schlaf geführt – maximal 30 Minuten am Stück und mein Erster, der bis heute bedürftiger und unruhiger ist, hat auch da schon mehr geweint. Insgesamt haben die zwei aber noch recht viel geschlafen und auch so süß nebeneinander gekuschelt (jetzt machen sie sich mit ihren zappeligen Ärmchen eher gegenseitig wach).

Auch zu Hause haben sie am Anfang viel geschlafen: aneinander, an mir, beim Stillen. Letzteres war übrigens der größte Unterschied zum Krankenhaus: ich stille voll. Nach drei Nächten im Krankenhaus war mir klar: das es die Abfolge von stillen, zufüttern und abpumpen nicht dauerhaft schaffbar ist und ich muss unbedingt voll stillen muss. Also habe ich die letzten 1,5 Tage im Krankenhaus mit allem einfach aufgehört und nur noch gestillt und es wirklich geschafft voll zu stillen und auch schon Tandem. Zuhause habe ich das so fortgeführt und mein Hebamme war ganz begeistert und ich auch, so konnte ich nachts nämlich auch mal 1,5 Stunden am Stück schlafen – Yeah!

Frühes Wochenbett


Ich genoss die Ruhe zu Hause und den fehlenden Trubel des Krankenhauses mit ständigen Schichtwechseln, Untersuchungen und Störungen. Die ersten drei Wochen zu Hause waren unerwartet ruhig. Dank Hebamme, Haushaltshilfe und ganz viel familiärer Unterstützung für uns als Familie im Haushalt, beim Essen kochen und mit dem Herzmädchen konnte ich ohne schlechtes Gewissen Wochenbett halten.

Nach dem wochenlangen Liegen in der Schwangerschaft und dem Kaiserschnitt konnte ich so etwas Schlaf nachholen, stillen und ganz in Ruhe fit werden. In den ersten zwei Wochen habe ich wirklich kaum das Bett verlassen. Danach begann ich Stück für Stück die Wohnung zurückzuerobern und wieder mehr am Familienleben teilzunehmen. Insgesamt hatte ich aber das Gefühl, dass den Babys die ruhige Gangart und das viele kuscheln und stillen in ihrem „Nest“ total gut tat. Meiner Meinung nach sind wir so - bis auf wenige Ausnahmen wegen wirklich schlimmer Verdauungsbeschwerden -den abendlichen Schreistunden „entkommen“. Auch Besuch haben wir nur wenig bekommen und wirklich auf Ruhe im Wochenbett und ein entspanntes Ankommen für die Zwei geachtet.

Spätes Wochenbett


Aufgrund der extremen Kältewelle Ende Februar war ich dann mit den Jungs wirklich erst nach vier Wochen zum ersten Mal draußen spazieren und dann hatten die zwei leider auch gleich einen Schnupfen - und ich auch. Dennoch habe ich in den letzten vier Wochen mein Pensum immer mehr gesteigert und spaziere nun schon bis zu 1,5 h durch die Gegend und übernehme mehr Aufgaben, ich war sogar schon ganz allein mit meinen drei Kindern einkaufen. Das war nach so vielen Wochen zu Hause und der anfänglichen geringen Belastungsfähigkeit echt ein Grund auf mich stolz zu sein J

Zwillinge stillen


Bis heute nimmt das Stillen neben dem Schlafen den Großteil des Tages ein. Die zwei sind echte Raupen Nimmersatt und verlässliche Stillpausen bekomme ich eigentlich nur durchs Spazierengehen. Über die Wochen hat sich dennoch etwas Rhythmus entwickelt und sie halten nun auch länger ohne essen durch. Meist konnte ich am Nachmittag etwas schaffen, nachdem sie den ganzen Tag an mir hingen. Und abends und nachts wird natürlich auch ganz viel gestillt.

Ich habe ja oben geschrieben, dass ich schon im Krankenhaus angefangen habe voll und Tandem zu stillen. Das ging die ersten 5 Wochen wunderbar. Die beiden tranken und ich konnte lesen oder über den Laptop etwas schauen. Dann begann es unruhig zu werden. Mit dem ersten Schnupfen begann meine Nummer Zwei zu spucken und das recht viel und besonders nach dem Trinken oder wenn Luft in den Bauch gelangt war. 

Kurze Zeit später beganne auch den anderen die Luft beim Trinken zu quälen und beide wurde unruhige Trinker, die immer wieder Luft aufstoßen mussten. Dadurch wurde stillen zu dritt zur Akrobatiknummer. Der eine trank noch, der andere musste kurz aufstoßen. Das war schon Verrenkung genug, aber wenn der andere dann dadurch die Brust verlor, versuchte ich wieder anzudocken oder zu wechseln um ihn zu trösten. Es ist ein Desaster und brachte mir einige Arm- und Rückenschmerzen.

Also änderte ich den Kurs und begann (entgegen dem Trend Zwillinge zu synchronisieren) die zwei asynchron zu stillen, zu kuscheln und schlafen zu legen. Natürlich entstehen so weniger Pausen für mich, aber es ist ruhiger, ich habe auch Zeit für jeden einzeln und ich konnte wieder entspannt stillen und auch mal was für mich nebenbei lesen oder schauen und so war ich wesentlich weniger gestresst. Arbeit ist eh für den ganzen Tag vorhanden, da bringen die paar gleichzeitigen Schläfchen jetzt auch nicht den Gewinn. Für mich ist es entspannter und auch nachts kann ich so liegen bleiben und auf der Seite stillen.

Zwillinge zu stillen ist nochmal eine neue Herausforderung, aber wirklich schaffbar. Ich war von vornherein von nichts anderem überzeugt, hatte auch keine großartigen Anschaffungen Richtung Flasche, Milchpulver und Vaporisator gemacht (nur was für den Notfall). Meine innere Haltung, dass die Natur das schon richtig vorgesehen hat, lässt mich bis heute überzeugt sein, dass alles klappt und jedes Stillproblem (wie Brust anschreien) meistern.

Schlaf


Die Abende sind die herausfordernste Zeit des Tages. Ich und auch der Papa sind geschafft vom Tag und dann heißt es begonnen beim Abendbrot: alle (quengeligen) Kinder zu betreuen und zum Schlafen zu bewegen. Es wird zwar immer sortierter, aber während unsere Große erstmal noch wach bleibt (zum Spielen, Video schauen, Zähneputzen) sind die Jungs hungrig, weinerlich und müde.

Dennoch finden sie unterschiedlich schnell in den Schlaf. Mal schläft der eine schon seit halb acht und der andere ist bis halb zehn "wach". Entweder holt sich meine Nummer Zwei Mama-Zeit oder Nummer Eins ist unruhig und weint untröstlich. Oder die zwei wechseln sich den ganzen Abend mit stillen und einschlafen ab. So oder so, wenn die beiden endlich durchschnittlich zwischen neun und halb zehn zur Ruhe finden, gibt es dann noch keine Pause. Denn das Herzmädchen möchte auch noch etwas Mama-Exklusivzeit in Form von Vorlesen und Einschlafbegleitung. Wenn dann wirklich alle Kinder schlafen, bin ich meist selbst so erschöpft, dass ich direkt mit einschlafe, auch wenn ich gern noch etwas Zeit für mich oder mit meinem Mann hätte.  
Zum Glück: Je mehr Wochen vergingen, desto länger wurden die Schlaf- und Stillftreien Phasen tags und nachts, so dass ich nachts selten, aber manchmal mit 3 Stunden Schlaf am Stück belohnt werde. Insgesamt ohne Pausen schlafe ich in schlechten Nächten 4-5 Stunden und in guten 6-7 Stunden.

Zwillinge – alles gleich?


Besonders erstaunt bin ich von der Unterschiedlichkeit der Jungs und all meiner Babys insgesamt (also auch im Vergleich zum Herzmädchen). Während unser Herzmädchen absolut nicht abzulegen war (sie schlief immer auf mir drauf, dran oder im Tragetuch, schöne Orte wie Kinderwagen, Sofa oder Bettchen wurden abgelehnt.), schlafen unsere Jungs einwandfrei in ihrem trendigen Zwillingswagen und mit der richtigen Schlafbegleitung auch alleine. Zu Beginn war das ganz easy, da schliefen sie beim Stillen oder danach zack ein. Nun braucht meine Nummer Eins mich (oder jemand anderen liebevolles), stillen oder Bewegung, um dann sanft abgelegt zu werden. Er hat die Tendenz wie das Herzmädchen sehr zum Tragling zu tendieren, aber liebevoll, sanft, zum richtigen Zeitpunkt, manchmal in Bauchlage und neuerdings mit weißem Rauschen im Hintergrund schläft er auch allein. Ansonsten kann ich ihn aber auch tragen und der andere, der von Natur aus der Gelassenere ist, schläft mit seinem Schnuller gemütlich in Federwiege, Bett, Sofa etc. ein.


Das finde ich sowieso am erstaunlichsten, dass sie charakterlich so unterschiedlich sind, obwohl ja beide die gleiche Schwangerschaft, die gleichen Eltern, die gleiche Behandlung erfahren haben. Meine Nummer Eins ist der hyperaufmerksame, gefühlt hyperintelligente Denker. Wenn er die Augen auf hat, dann sind sie weit aufgerissen und er will lernen und nimmt gefühlt alles ungefiltert auf. Dementsprechend ist er schneller müde, hält kürzer durch und weint mehr. Er braucht viel mehr Regulation durch uns und Körpernähe.

Nummer Zwei genießt auch Nähe sichtlich und lacht, wenn ich ihn nehme oder stillen will und er scheint ebenfalls sehr klug und beobachtet gern. Braucht aber nicht so viel persönliche Ansprache und Erklärung dafür, er schaut und nimmt wahr, aber irgendwie besonnener und in eigenem Tempo. So bleibt er länger munter, ruhiger und kann bei Bedarf auch einfach entscheiden einzuschlafen, wenn es ihm zu viel wird und eben auch ohne Regulation von außen. Das finde ich total erstaunlich und auch wenn ich häufig ein schlechtes Gewissen habe, weil er oft warten muss und für sich ist, weil der andere viel mehr weint und bedürftig ist, bin ich sehr dankbar, dass ein Zwilling in der Hinsicht recht pflegeleicht ist und mir gewissermaßen mit seiner Geduld und Ruhe hilft.

Dafür müssen wir wegen ihm regelmäßig unsere Kleidung, einen großen Berg Spucktücher und seine eigene Kleidung waschen. Denn fast egal, wann man ihn hochnimmt er bringt fast immer Milch wieder mit hoch – und das auch oft im Schwall, so dass ich es hinter mir Platschen höre. Interessant ist auch, dass er einen Schnuller nimmt und Nummer Eins schreit als würde man ihm den Hals umdrehen, wenn man ihm einen Schnuller nur anbietet.

Vom ersten Tag an hat er sich Nummer Eins mehr aufgeregt und geweint. Besonders bei Vorkommnissen mit seinem eigenen Körper ist er sehr sensibel. Windeln, Luft im Bauch, Hunger, Müdigkeit werden immer sehr stark beweint. Wirklich laut, so dass mir teilweise schon mein Ohr weh tat. Der andere schimpfte auch teilweise bei diesen Dingen, aber viel zarter und ließ sich auch trösten. Das dauert bei Nummer meist sehr lang und führt oft zum nächsten (wie Müdigkeit aufgrund der Erschöpfung).

Optisch sind beide immer noch unterschiedlich, auch wenn es irgendwie ein Phänomen ist, dass sie sich dann noch so ähnlich sind und einzeln zum Verwechseln verführen. Mir passiert das eher weniger, aber im Halbschlaf wundere ich mich auch manchmal, warum mich Nummer Eins plötzlich bespuckt, wenn ich ihn wie gewohnt auf meinem Bauch schlafen lassen will...
Nummer Eins hat gewichtsmäßig gut aufgeholt und sieht nun pummeliger aus als Nummer Zwei und beide sind inzwischen gleich lang. Aber die unterschiedlichen Haare (hell und dunkel) sind geblieben. Interessant ist, dass Nummer Zwei aussieht wie das Herzmädchen als Baby und mir manchmal ihr Name ihm gegenüber rausrutscht. Ich bin so gespannt wie die beiden Süßen in einem Jahr aussehen!

Entwicklung


Ich freue mich, dass ihre Wachphasen besonders in der letzten Woche immer länger werden. Es ist so niedlich wie sie wissbegierig schauen und lauschen, wenn Mama, Papa oder Schwester erzählen. Besonders diese ersten Momente der Geschwisterliebe sind herzerwärmend, wenn die große Schwester streichelt, knuddelt, erzählt und Küsschen gibt. Auch schauen die beiden nun schon ganz bewusst mir oder der Rassel hinterher, lachen süß (besonders wenn ich Faxen mache oder wenn das Stillen losgeht) und machen erste zarte Laute, um mit uns zu sprechen.


Das sind dann die Momente in denen mir warm ums Herz wird und die viele Arbeit, Rücken- und Armschmerzen, durchwachte Nächte, das viele Schreien von unserem Ersten, keine ruhige Minute und all die vollgespuckten Oberteile vergessen sind. Dann zählt nur der Moment, das Lachen, das Prabbeln, das Kuscheln…


Eure Anne


Freitag, 16. März 2018

Die Geburt meiner Zwillinge


Fotografie: Anne Siedentopf


Während ich hier schreibe, liegen meine beiden Zwillingsjungs, die jetzt 5 Tage alt sind, nach dem Stillen auf meinen Schoß und schlafen ruhig, anscheinend ist das der perfekte Platz zum Schlafen – nur mein Po tut davon immer weh…

Ich bin sehr müde nach mehr oder weniger einer Woche schlafloser Nächte. Die erste war die Nacht vor dem Kaiserschnitt in der ich vor Aufregung kaum mehr als 1,5 h geschlafen habe. Ich hatte stundenlang extremes Sodbrennen und beschwerten Atem durch die Kinder im Bauch und war ständig auf Toilette und mir war vor Aufregung ganz übel. Irgendwie gingen aber auch diese langen zähen Stunden vorbei und mein Vati kam in den frühen Morgenstunden, um uns zu helfen. Er hat dann das Herzmädchen in den Kindergarten gefahren und wir in die Klinik. Mir war immer noch extrem übel, aber ich redete mir gut zu, dass ja alles in spätestens 2 Stunden überstanden sein würde.

Als wir ankamen, gingen wir direkt wie abgesprochen in den Kreißsaaltrakt und wurden – zu meiner Enttäuschung - prompt wegen Überfüllung auf Station geschickt. Mist, am Tag zuvor war alles noch ganz ruhig und nun wollte über Nacht wohl halb Dresden entbinden. Ich sah unsere Chance auf ein  Familienzimmer dahinschwinden. Zudem wurde uns gesagt, dass andere unerwartete Kaiserschnitte dazwischengerutscht sind und wir später dran sein werden.

Ich bekam leichte Panik. Ich wusste nicht wie ich mit meinem stark angeschlagenen Kreislauf und der Übelkeit, weil ich seit dem Vorabend nüchtern war, noch eine weitere Stunde durchhalten sollte. Mein Wunsch nach einem Tropf, um nicht abzuklappen wurde von der Schwester erstmal abgelehnt. Als ich nicht mehr konnte, schleppte ich mich auf den Gang und fand die Ärztin vom Vortag, die mir den Tropf sofort brachte. Zum Glück, denn inzwischen sollten wir statt um 8 Uhr um 12 Uhr dran sein – eine weitere Not-OP.



Die Stunden gingen zäh und zermürbend ins Land. Die Schwestern wussten nicht, wann es nun losgehen würde und konnten keine Prognosen abgeben, wenn man nachfragte. Immerhin konnte mein Vati (er ist Medizintechniker) bei einem Kollegen den OP-Plan einsehen und uns so immer mal den aktuellen Planungsstand für unseren Kaiserschnitt mitteilen. 14 Uhr hieß es dann und später nochmal 15:10 Uhr. Dass dies nicht klappte, „erfuhren“ wir eigentlich nur indem wir nicht abgeholt wurden. Meine Aufregung hatte sich inzwischen in Resignation und Gleichgültigkeit verflüchtigt. So hatte ich mir den Geburtstag der Jungs nicht vorgestellt…

Natürlich haben Notfälle Vorrang ohne Frage, aber mir ging es so schlecht und meine Angst kreislaufmäßig spätestens im OP abzuklappen, stieg immer weiter an. Zumindest bekam ich nun regelmäßig einen Tropf.

Ursprünglich dachte ich aber, dass wir bis nachmittags - bis das Herzmädchen ihre Brüder kennenlernen sollte - Zeit hätten alles zu verdauen, uns kennenzulernen, zu kuscheln und uns zu sortieren. Es wurde immer später und Opa holte sie nun ohne die erwartete frohe Botschaft aus dem Kindergarten ab.



Als wir kurz nach 15 Uhr immer noch warteten, griffen wir frustriert und gegen jede Gewohnheit zur Fernbedienung und versuchten so die Zeit weiter totzuschlagen. Kurz nach dreiviertel vier ging es dann plötzlich los und zwar von 0 auf 100. Die Schwestern kamen, nun sollte es losgehen, am besten sofort.

Ich wurde in den Kreißsaalbereich geschoben und plötzlich war sie wieder da: meine unbändige Aufregung und Angst. Ich weinte gleich wieder wie am Tag zuvor bei den Vorbesprechungen zu Narkose und Kaiserschnitt. Das Ungewisse, die Risiken, die Spinalanästhesie, mein Kreißlauf und die Vorstellung Aufgeschnitten-zu-werden machten mir ziemliche Angst und das obwohl ich überhaupt kein aufgeregter oder ängstlicher Typ bin.

Wir waren da und ich lief in den OP hinein. Mein Mann wurde zum Umziehen gebracht. Ich begann extrem zu zittern und mit den Zähnen zu klappern, was ich bis eine Dreiviertelstunde nach OP-Ende auch nicht wieder in den Griff bekam.

Ich sollte mich auf den OP-Tisch setzen, der im  Prinzip wie ein grün abgedeckter Frauenarztstuhl aussah und wurde dann die ganze Zeit von einer super lieben Anästhesie-Schwester betreut und auch das restliche Team war sehr unterstützend und angstnehmend dabei, auch wenn ich dennoch weiterhin sehr aufgeregt war.

Nach und nach kam mehr Personal (am Ende 10 Personen) in den OP und bauten Sachen auf oder packten sie aus, es war ein ganz schönes Gewusel. Mittendrin ich und die Anästhesieschwester und der Anästhesist, die mit der Narkose begannen. Erstmal wurde mein Rücken gewaschen – aufgrund des schicken OP-Hemds ja gut zugänglich ;) – und dann untersucht und die Stelle vorbetäubt. Dann wurde die Anästhesie gesetzt, was dadurch gar nicht wehtat. Ganz schnell wurden meine Beine warm und langsam alles taub. Das war ein sehr merkwürdiges Gefühl. Manchmal sprühte mich der Anästhesist an um herauszufinden wo ich noch Kälte spüren konnte. Die ganze Zeit über wurde mein rechter Arm von der Blutdruckmanschette fast zerquetscht.

Dann kamen die Operateure und es konnte losgehen. Ich sollte mich hinlegen, was ich aufgrund der Betäubung und des großen Bauchs kaum noch hinbekam, aber irgendwann lag ich. Dann sollte es schnell losgehen, damit ich durch den Druck des Bauchs nicht erst Kreislaufprobleme bekam. Ich wurde hingelegt, mit Medikamenten versorgt, die Abdeckung hochgezogen und dann durfte mein Mann endlich zu mir, der prompt vor lauter Aufregung fast meine Hand zerdrückte.

Nun sollte es losgehen und ich hatte etwas Angst wie - von den Ärzten angekündigt - zwar keine Schmerzen aber ansonsten sehr viel von den Handgriffen mitzubekommen. Doch das blieb zum Glück fast aus und ich war sehr froh darüber das Vorgehen kaum zu spüren. Plötzlich hieß es dann, dass der erste Zwilling da sei. Es folgte ein Moment der Stille, ich lauschte ein wenig ängstlich auf einen Laut und dann gab es ein befreiendes kleines Meckern – sehr gut! Schon wurde er uns auch gezeigt und ich sah wie aus Angst im Gesicht meines Mannes ein Ausdruck des Wunders wurde - bei mir war es sicherlich ähnlich. Was für ein unbeschreiblich schönes Gefühl, eine Erleichterung, ein Glück: der Erste war gesund auf der Welt. Bis vor einer Minute erschien es mir unvorstellbar, dass wirklich zwei Kinder in meinem Bauch sein sollten, auch wenn dieser aufdringlich präsent und beschwerlich in den letzten Wochen gewesen war.

Nun folgte auch schon Baby zwei, der noch länger still war und meine Anspannung kurz steigerte, dann gab auch er ein leises Knucksen von sich. Auch heute noch Tage später: Nummer Eins regt sich schnell auf (zum Beispiel beim Windeln) und Nummer Zwei  nimmt alles gelassener. Auch er wurde uns kurz gezeigt und dann zu den Kinderärzten gebracht. Mein Mann ging gleich hinterher und ich wurde weiter versorgt. Dann kam er mit unserem ersten Zwilling zurück und ich konnte ihn streicheln, küssen und begrüßen. Das war unglaublich schön und Nummer Zwei wurde mir ebenfalls kurz darauf gebracht. Beiden ging es gut, keinerlei Anpassungsprobleme – was für ein Geschenk, es musste also niemand beatmet oder anderes werden :)

Die Anspannung ließ nach und ich versuchte mich langsam zu beruhigen und runterzufahren. Aber mein Körper brauchte noch etwas, um all die Aufregung und Angst abzubauen. Das war aber auch ein spannendes Erlebnis! Wahrscheinlich das Spannendste, was ich je in meinem Leben erlebt habe, so aufgeregt war ich nicht mal beim Paragliding gewesen! Umso mehr genoss ich das gemütliche Kennenlernen im Kreissaal nach einer Nacht ohne Schlaf, ewigem Warten und körperlicher Grenzerfahrung. Ich konnte meine Zwillinge ein erstes Mal im Arm halten, stillen, streicheln, kennenlernen und etwas später waren wir komplett als das Herzmädchen dann auch ihre Brüder kennenlernte.

Was für ein einmaliger Tag mit zwei Wundern am Ende des Tages!

Eure glückliche Dreifach-Mama, Anne :)

Freitag, 19. Januar 2018

Was mich an dieser Schwangerschaft in den Wahnsinn treibt - eine kurze Aufzählung

Fotografie: pixabay/ pexels




- Schwangerschaftsübelkeit/ Hyperemesis gravidarum
-> quasi Magen-Darm-Verstimmung 24 h am Tag, 3,5 Monate lang - ich glaub ihr könnt es euch vorstellen

- Kopfschmerzen in den ersten vier Monaten durch die Hormonumstellung
-> wunderbare Kombi mit Übelkeit

- Kreislaufprobleme und unendliche Müdigkeit
-> machen das wunderbare Geschenk der Schwangerschaft mit Übelkeit und Kopfschmerzen in den ersten Monaten erst perfekt!

- ein fast dauerhaft schrecklicher Geschmack im Mund
-> nichts hilft, ich dreh bald durch, am Anfang hatte ich noch die Hoffnung, dass er zusammen mit der Übelkeit auch irgendwann verschwindet

- wahnsinniges abendliches Sodbrennen ohne erkennbare Ursache
-> links liegen hilft, aber zum Liegen siehe Stichpunkt Schlafprobleme!

- Rückenschmerzen
-> zum Glück gibt es Osteopathen ;)

- Hüftschmerzen
-> da kann auch der Osteopath nichts mehr machen, physikalische Überlastung!

- Zahnfleischbluten
-> kennen wohl die meisten Schwangeren

- Harndrang bzw. jetzt am Ende unsägliche Schmerzen auf dem Gang zur Toilette
-> die zwei halten meine Blase wahrscheinlich für ein Trampolin...

- Beschwerlichkeit
-> wer sich vorstellen kann einen Medizinball zu verschlucken und dann noch aufrecht zu gehen bzw. mit Kleinkind den Alltag zu gestalten ist nah dran an meiner jetzigen Situation

- Schlafprobleme
-> schon mal mit einem verschluckten Medizinball geschlafen? Man kommt keinen Zentimeter zur Seite und Positionswechsel kommen einem Wellnessurlaub gleich!

- Schwangerschaftsdiabetes
-> die zwei in meinem Bauch essen mir gefühlt alles weg, aber was soll ich noch essen? Mehr Gemüse geht nicht, ich bin doch keine Kuh!

- diese Sorgen: Sorgen um die Zwillinge (Entwicklung, mögliche Frühgeburt...), Sorgen in Bezug auf die Entbindung, Sorgen um das Herzmädchen während der Zeit im Krankenhaus und danach, Sorgen in Bezug auf den zukünftigen Alltag, Sorgen um die Paarbeziehung und ach ja, ich bin ja auch noch da...

- die unendliche Anzahl von Terminen: als Zwillingsschwangere ist man nämlich fast eine Laborratte (alle zwei Wochen Frauenärztin, 3mal zum Feindiagnostiker, dann noch Diabetologie, Physiotherapie, Osteopath, Schwangerenberatung zur Geburtsvorbereitung im Krankenhaus) und dann soll man sich noch gaaaaaaaaaaanz viel schonen, klappt super, wenn man die Vormittage in Wartezimmern und die Nachmittage mit Kleinkind verbringt...

- ach und die unendliche Anzahl an Gesprächen mit Fremden und Bekannten über die Größe meines Bauchs
-> ich habe ja noch gar nicht mitbekommen, das ich Zwillinge erwarte! ;)

- die Hormonumschwünge und dass man dann heulend zu Hause auf der Badewannenkante sitzt

- Apropos: Baden und Duschen klappt auch wunderbar, man braucht nur doppelt so viel Wasser

- und Zehennägel-Schneiden ist fast einfacher als sich zum tausendsten Mal den Bauch einzucremen in der Hoffnung, dass nicht noch mehr Schwangerschaftsstreifen entstehen

...und ja, ich freu mich trotzdem auf meine zwei Jungs!

Eure Anne



Dienstag, 16. Januar 2018

Interview zum Thema Selbstbetreuung - Jenniffer von Berufung Mami stellt mir Fragen


Fotografie: Josh Willink/ pexels




Ihr habt Jennifffer von Berufung Mami bereits in meinen Herzensbande-ADVENTskalender im Interview kennengelernen dürfen und nun hat sie ein Interview mit mir in ihrem EBook "Selbstbetreuung und Geld verdienen?" veröffentlicht. 

Über einen Email-Kontakt haben Jenniffer und ich im Frühjahr letzten Jahres Kontakt geschlossen und so hatte sie mich gefragt, ob ich für ihr EBook für ein Interview bereit wäre. Da habe ich gern spontan zugesagt und Anfang letzten Sommers über unsere Zeit als Selbstbetreuer Rede und Antwort gestanden. Da Jenniffer auch gerade kurz vor der Entbindung steht und ebenfalls eine sehr anstrengende Schwangerschaft hatte, ist ihr Buch nun gerade erst frisch "in den Druck" gegangen. 

Ich freue mich, dass ich euch mein Interview hier auf dem Blog zum Lesen zeigen und euch damit auch einen ersten Einblick in das EBook "Selbstbetreuung und Geld verdienen?" geben darf:


Anne: „Organisieren, geduldig sein und priorisieren“


Anne ist Sozialpädagogin und Mama einer Tochter. Sie hat einen Weg gefunden, beruflich tätig zu sein und die Betreuung ihrer Tochter trotzdem fast ausschließlich selbst zu übernehmen. Sie berichtet im Interview u.a. darüber, wie der Versuch der Fremdbetreuung scheiterte und welche Wege die Familie anschließend gegangen ist, zum Wohle ihres Herzmädchens. Zum Zeitpunkt des Interviews ist sie das zweite Mal schwanger, und zwar mit Zwillingen. 

Magst Du uns etwas über Dich und Deine Familie erzählen? 


Ich bin gebürtige Dresdnerin, liebe meine Stadt sehr und habe bis auf 3 Monate in Zürich immer hier gelebt. Ich bin 30, ein Sommerkind, glaube an Gott, liebe es zu quatschen bis die Sonne am nächsten Tag aufgeht, bin gern kreativ und interessiere mich für Umwelt- und Naturschutz und esse fast ausschließlich vegan. Ich wollte schon immer, und habe dann auch aus meiner Liebe zu Kindern heraus Sozialpädagogik studiert. Während und nach dem Studium habe ich sowohl im Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes, in einem Familienzentrum, Kitas und in der Erwachsenenbildung gearbeitet. 

Mit meinem Mann bin ich schon seit fast 13 Jahren zusammen, inzwischen verheiratet und Eltern einer wunderbaren Tochter, die wir jeden Tag gefühlt etwas mehr lieben und die auf dem Blog Herzmädchen heißt. 

In der Elternzeit habe ich beim Stillen und Familienbetten ganz viel über Attachment Parenting, bedürfnis- und beziehungsorientiert, unerzogen und einen gleichwertigen Umgang in der Familie gelesen. Und dabei erkannt, dass die Haltung dahinter meiner inneren Haltung endlich einen Namen gibt und auch beruflich genau meinen Herzenswunsch trifft: für Kinder eintreten und Eltern unterstützen, einen gewaltfreien Weg zu finden. Schnell war klar, dass ich mich beruflich neu orientieren möchte und daraus ist damals noch zusammen mit einer Freundin die Idee von Herzensban.de entstanden. 

Du bist also Mama einer Tochter. Wie alt ist sie und wie gestaltet ihr die Betreuung? 


Meine Tochter wird bald 3 Jahre und wir betreuen unsere Tochter selbst. Das heißt konkret, dass einer von uns immer mit ihr zusammen ist, aber nicht unbedingt viel alleine. Wenn wir unsere Tage nicht Zuhause und auf dem Spielplatz oder mit Freunden verbringen, gehe ich mit ihr in der Woche 1-3 Tage in den Rockzipfel in Dresden. Dort habe ich die Möglichkeit zu arbeiten, mich mit anderen Eltern auszutauschen, sich gegenseitig zu unterstützen und mein Herzmädchen kann mit anderen Kindern spielen. Zusätzlich kommt einen Vormittag Oma zum Spielen vorbei und wir haben eine ganz liebe Babysitterin gefunden, die ebenfalls einmal in der Woche vormittags oder nachmittags vorbeikommt, während ich am Schreibtisch arbeite. 

Aus welchen Gründen habt ihr euch für die (fast alleinige) Selbstbetreuung entschieden? 


Aufgrund von Kenntnissen über die Bindungstheorie aus dem Studium, Vorleben durch Freunde und schlechte Erfahrungen als unsere Tochter in die Krippe ging. 

Für mich war schon lange vor der Elternzeit klar, dass ich mindestens 2 Jahre zu Hause bleiben möchte und wir uns auch darüber hinaus je nach Bedürfnis des Kindes die Betreuung teilen oder zumindest nur eine stundenweise außerfamiliäre Betreuung für unser Kind möchten. 

Als sie zwei wurde und der Plan war, dass ich wieder ins Arbeitsleben zurückkehren soll, haben wir mit der Eingewöhnung in einer aus unserer damaligen Sicht bedürfnisorientierten Krippe begonnen. 

Trotz meines großen entwicklungspsychologischen und bedürfnisorientierten Wissens habe ich es leider nur teilweise geschafft unsere Wünsche bei den Erziehern umzusetzen. Auch wenn wir uns bei vielem länger Zeit lassen durften, kam trotzdem irgendwann der Punkt an dem die Erzieherinnen immer mehr von ihr mit gerade mal 2 Jahren verlangten. Unser Herzmädchen sollte immer mehr funktionieren und wir bekamen fast täglich zurückgemeldet, dass unser Kind „nicht hören“ würde und die einzige in der Gruppe sei, die nicht sofort umsetze, was man ihr sage. 

Trotz viel Verständnis unsererseits für Erwartungen, Betreuungsschlüssel, Gruppengröße, Strukturen und sehr freundlichen Gesprächen, wollten sie unsere Wünsche und Argumente nicht verstehen. Ich habe darüber auch einen eigenen Blogartikel verfasst, weil mir das damals ziemlich nah ging, dass wir damit, trotz sehr sorgfältiger Auswahl und behutsamen Heranführens unserer Tochter an die Krippe, gescheitert sind. 

Ab einem gewissen Punkt musste ich entscheiden, ob ich als Mutter so werde, wie sich das der Kindergarten wünscht und ich nie werden wollte oder ob ich nie wiederkomme und wir unsere Ideale leben können. So haben wir von einem Tag auf den anderen gekündigt und uns wieder selbst organisiert. 

Da ich im Vergleich zu vorher schon mitten im Selbstständig-werden steckte und auch einige Stunden in der Woche in einer Herzreha arbeitete, mussten wir uns neu organisieren. Das hat zwei Monate gedauert, aber dann hatten wir einen guten Rhythmus gefunden und haben unsere Entscheidung bisher nie bereut. 

Besonders ich fühlte mich wieder freier, musste mich nicht täglich den Verurteilungen der Erzieherinnen (wir seien unfähig und viel zu laissez-faire-mäßig unterwegs) aussetzen und 
auch unser Mädchen atmete merklich auf, wollte nie wieder zurück und konnte wieder sie selbst sein. Sie wachte sogar oft morgens auf und sagte traurig, dass sie nicht in den Kindergarten möchte. Wir merkten, dass sie drei Monate brauchte um die negativen Erfahrungen und einige entwickelte Abwehrhaltungen (z.B. Händewaschen) verarbeitet hatte. Diese Beobachtungen waren ein Grund mehr, die Selbstbetreuung als richtigen Schritt zu sehen. 


Was machst Du beruflich und wie ist eure Tochter in dieser Zeit betreut? Wie bekommst Du Arbeit und Familie unter einen Hut? 


Das ist ein spannender Spagat und ganz viel organisatorische Familien-Leistung. 

Ich bin Sozialpädagogin und arbeite freiberuflich als Familienberaterin, Mediatorin und Elternkursleiterin. Und ich blogge mit Leidenschaft für einen gleichwertigen, liebevollen, bedürfnis- und beziehungsorientierten Umgang in der Familie. 

Zudem arbeite ich über einen Honorarvertrag (vorher Minijob) als Sozialpädagogin in einer Herzreha und in Fortbildungseinrichtungen als Dozentin für Familien- und Sozialpädagogikthemen. 

Inhaltliche und organisatorische Arbeit (also Bloggen, Netzwerken, Betreuung der Homepage und Facebook-Seite, Termine und Erledigungen koordinieren) versuche ich tagsüber mit meinem Mädchen oder im Rockzipfel oder wenn jemand zum Spielen vorbei kommt (wie Oma, Opa, Kinderbetreuung) zu schaffen beziehungsweise ist ein ganz großer zeitlicher Part der Mittags- und Nachtschlafstunden. 

Arbeite ich in der Herzreha, als Dozentin, gebe Kurse oder berate, ist Papa-Zeit. So ist sie entweder bei mir oder bei Papa und an andere lässt sie sich auch nicht abgeben und da versorgen wir sie uneingeschränkt in ihrem Sicherheitsbedürfnis. Auch wenn mir manchmal kleine Zweifel kommen, wie „normal“ das ist, vertrauen wir ihr damit seit dem Kindergarten voll und ganz und gehen davon aus, dass ihre Autonomiebestrebungen von sich aus eintreten werden oder wie mein Mann es mal so schön sagte: „Was ist schon normal?!“ 

Mh, wie bekomme ich Arbeit und Familie unter einen Hut? 


Zeit mit meinem Herzmädchen versuche ich mir ganz bewusst zu nehmen, so dass trotz viel Mitkommen zu Geschäftsterminen und Haushalt / Einkauf / Essen kochen auch individuelle Zeit für sie bleibt bzw. habe ich einfach im Gegensatz zu früher ein gedrosseltes Tempo und wir schaffen mit Freude enorm viel zusammen. Sie weiß, dass ich für die Arbeit einiges erledigen muss, das ist für sie in Ordnung, dafür „muss“ sie nicht in die Kita gehen. 

Zeit für mich oder auch für Treffen mit Freundinnen ist wenig, aber das ist ok für mich, denn das ist sie mir wert und mein Leben hoffentlich noch lang. ;-)

Zeit für mich und meinen Mann ist eher abends wenn unsere Tochter schläft, dann basteln wir uns ein Paket aus Arbeit und Entspannung. 

Was würdest Du sagen ist die größte Herausforderung, wenn man arbeitet und sein Kind selbst betreut? 


Nicht selbst unterzugehen. Alle anderen Bedürfnisse (Kind, Arbeit, Partner, Familie, Gesellschaft) wichtiger zu nehmen als seine eigenen. Ich finde, das ist auch eins der größten Missverständnisse von einem bedürfnisorientierten Umgang – es geht nicht nur um die Kinder! Je kleiner sie sind, umso mehr, ganz klar, aber wenn ich als Mutter (bei der in den meisten Familien alle Stricke zusammenlaufen: Kind/er, Mann, Haushalt, Familienorganisation, Job) nicht auf mich achte, dann kann ich bald auf nichts und niemanden mehr achten. Insofern versuche ich mir täglich Zeit für mich zu nehmen, mal mehr, mal weniger, aber in der Regel mindestens eine halbe Stunde – wie auch immer das aussieht, für jeden anders und auch bei mir jeden Tag etwas anders. So habe ich Kraft, Motivation und Freude für dieses Riesenpensum. 

Meine größte Herausforderung ist Sport, dazu habe ich eigentlich keine Zeit, möchte aber unbedingt wieder mit dem Laufen anfangen. 

Gibt es Momente, in denen Du es Dir anders wünschst? Also mehr Zeit für Dich zu haben, oder für Deinen Job? Was bestärkt Dich in diesen Momenten darin, den Weg so weiterzugehen, wie ihr ihn geht? 


Ja, die gibt es definitiv. Ganz oft denke ich, dass ich gern mehr ruhige Zeit zum Arbeiten, Planen und Durchführen hätte. Dennoch sehe ich nie unser Herzmädchen als „Ursache“, sondern dass ich mein Leben so gewollt habe und einfach nur besser werden muss im Organisieren, Geduldig-sein und Priorisieren – obwohl das wirklich schon meine Stärken sind. Die drei Eigenschaften helfen mir ungemein. Auch über den Stress nicht den Blick für die Bedürfnisse meiner Tochter, mich, meinen Mann, Familie, Freunden …. zu verlieren. Denn die sind mir/ uns als Familie am wichtigsten und dafür verschiebe ich letztlich gern Termine oder komme weniger schnell voran, auch wenn es eben Momente gibt, in denen ich da ungeduldig und undankbar bin. 

Mich bestärkt also, dass wir die freie Wahl zu unserem Leben hatten und diese Selbstbestimmtheit liebe ich jeden Tag: die freie Einteilung von Arbeit und Familie (mein Mann arbeitet auch von zu Hause aus), das ist für mich gelebte Vereinbarkeit. Und mich bestärkt das Gefühl der Dankbarkeit, dass wir das Glück haben, es managen zu können, so viel Zeit miteinander zu haben, auch wenn wir dafür 7 Tage die Woche im „on“ sind und arbeiten, aber eben auch 7 Tage die Woche Schönes haben und nicht nur auf einzelne Tage hinarbeiten. Ich bin meinem Mann dankbar, dass wir das so können, denn er ist der Hauptverdiener. 

Und ja, die wenige Zeit für mich und die hohe Präsenz/Arbeitsbelastung dadurch, dass ich zu 70% Kind und Haushalt plus meine Arbeit habe, da gibt es auch Momente der Überforderung und der kurze Wunsch, einfach wie Max Müller mit Kita und Angestelltenjob zu leben, aber die Momente sind eben wirklich kurz. Dennoch schließen wir es nicht aus, bis zur Schule irgendwann für ein paar Stunden täglich auch - wenn wir eine wirklich gute Kita finden sollten - Betreuung in Anspruch zu nehmen, das werden wir dann zu dritt entscheiden. Und diese Möglichkeit das Leben immer wieder neu anzupassen, das hilft mir auch - wir leben als Familie keine Dogmen. Und so ist Selbstbetreuung für uns gerade folgerichtig und von Herzen, aber es soll keine auferlegte Fessel werden, wenn sich das Leben ändert, dann werden wir weiterschauen. 

Von all den Dingen, die Du tust, um Geld in die gemeinsame Kasse zu bringen, was davon kannst Du Müttern empfehlen? Welche der Ausbildungen kosten nicht zu viel Zeit und Geld, womit man sich jedoch schnell ein eigenes Standbein aufbauen kann. 


Mh, das finde ich schwierig, denn alle meine Tätigkeiten beruhen darauf, dass ich Sozialpädagogik studiert habe. Das Bloggen natürlich nicht, aber das ist mehr Leidenschaft und Information für Eltern, als Einnahmequelle. 

Was würdest Du Müttern, die das hier jetzt lesen, empfehlen? 


Was ist aus Deiner Sicht erfolgsversprechend, um sich ein eigenes Standbein aufbauen zu können, was aber nicht zu viel Zeit und Geld in Anspruch nimmt. Ich denke, ein Minijob kann eine gute Idee sein, wenn man es mit Papa oder anderer Betreuung abdecken kann, verlässlich die kleine Stelle auszufüllen und für Mamas aus dem pädagogischen Bereich ist es natürlich immer möglich freiberuflich beratend oder mit Kursen zu elternrelevanten Themen dazuzuverdienen. Ich habe dazu eine Zusatzausbildung zur Familienberaterin über ein Jahr gemacht und ließ mich zur Mediatorin weiterbilden. Ich finde, dass das nicht nur aus dem finanziellen Aspekt heraus sein sollte, ich liebe einfach meine Arbeit sehr, daher ist sie auch Ausgleich und Leidenschaft für mich.


Danke Jenniffer für deine Fragen!