Sonntag, 29. April 2018

Kindheit ohne Strafen – Vortrag mit Katharina Saalfrank


Fotografie: Anne Siedentopf



Vorletzte Woche hatte ich das erstmal Freigang, denn ich hatte das Glück kurzfristig und um drei Ecken eine Karte für den Vortrag im Dresdner Hygiene Museum mit Katia Saalfrank (veranstaltet von der Krankenkasse DAK) zu bekommen. Ich habe mich riesig gefreut, da ich doch zu spät davon erfahren hatte und er restlos ausgebucht war – yeah!

18.00 Uhr ging es los und ich konnte die folgenden zwei Stunden entspannt zuhören und vom Still- und Windelwahnsinn gut abschalten, weil sich mein Mann und meine Schwiegermutti netterweise um alle Kids bei strahlendem Sonnenschein im Park davor gekümmert haben. Inzwischen weiß ich auch, dass wirklich alles super geklappt hat und die Jungs sich zwischendurch ein Fläschchen geteilt haben und dann wieder eingeschlafen sind.

Ohne irgendwas geplant zu haben traf ich mehrere Freudinnen und war also in netter Gesellschaft und ich durfte sogar bevor es losging Frau Saalfrank am Waschbecken der Toilette noch viel Spaß beim Vortrag wünschen J

Ich finde das Thema ungemein wichtig und gleichzeitig ungemein schwer, wie wir hier auch immer wieder im Alltag merken, wie unsere eigenen Gefühle und Muster aus unserer Erziehung uns steuern. Dann kommen „wenn…dann“ Sätze, Konsequenzen oder andere nicht sehr verbindende Sätze aus unserem Mund. Es ist aber auch herausfordernd mit einem fast vierjährigen Herzmädchen, dass zu Allem seine eigene Meinung hat. Ich war also sehr gespannt, was ich nun nochmal Neues mitnehmen werde!

Katia Saalfrank kam also 18.00 Uhr auf die Bühne des vollen Raumes und gleich (wie auch schon zuvor in der kurzen Sekunde auf Toilette) fällt einem ihre angenehme, lächelnde, sympathische Art und ihre sanfte Stimme auf. Sie beginnt sich und ihre Arbeit, die für sie absolute Berufung und nicht nur Beruf ist, vorzustellen und alle sind sofort von ihrer Kompetenz überzeugt als sie erzählt, dass sie selbst 4 Kinder und auch Fehler gemacht hat. Alle atmen durch: sie kennt den alltäglichen Wahnsinn, die Herausforderungen und bringt nicht nur nette Theorien mit. Sie möchte uns Duzen und fragt ein bisschen mit Handzeichen ab, wer so da ist, um uns kennenzulernen. Und bittet darum, unvoreingenommen und offen (so wie es unsere Kinder auch sind) zuzuhören.

Fotografie: Anne Siedentopf


Dann beginnt sie ihren Vortrag, den sie mit übersichtlichen Folien und süßen Comics unterstützt und erklärt erst mal, dass Kinder Respekt von ihren Bindungspersonen lernen, indem diese dauerhaft wertschätzend sind und die kindlichen Grenzen wahren. Sie plädiert für eine neue „Form der Führung“, die nichts damit zu tun hat keine Grenzen zu haben.

Insgesamt sei es ganz normal, dass dort wo Menschen zusammenleben Konflikte entstehen. Es geht also nicht darum, diese zu vermeiden, sondern konstruktiv zu lösen und auf die Ursachen zu schauen (was war los?) und gemeinsam mit den Kindern Alternativen für diesen Konflikt zu erarbeiten. Hilfreich ist dabei, das Wort ABER wegzulassen und lieber mit UND zu arbeiten. Denn ein „Ich verstehe dich, aber wir gehen jetzt nach Hause“ trennt, wohingehen ein „ich verstehe dich und wir gehen jetzt nach Hause“ verbindet und Raum lässt.

Bevor Frau Saalfrank tiefer auf das Thema „Kindheit ohne Strafen“ eingeht, stellt sie noch die Begriffe bindungs- und beziehungsorientiert vor. Wichtig ist hierbei vor allem, dass sich ihre Herangehensweise nicht wie bei der klassischen Verhaltenspädagogik am Verhalten, sondern an der emotionalen Ebene orientiert.

Ich finde diesen Punkt enorm wichtig, wenn man in Beziehung leben will und bevor man sich damit beschäftigt, wie man nicht straft. Dieser Unterschied bildet meiner Meinung nach die Basis, die Haltung von bindungs- und beziehungsorientiert. Direktiv auf das Verhalten zu schauen, es zu bewerten und Konsequenzen zu ziehen ist im Prinzip einfach. Hingegen auf die Gefühlswelt, die Motive, die Ursachen hinter dem Verhalten unserer Kinder zu schauen schwer. Denn dafür braucht es Zeit und eben eine Beziehung, ein Sich-Kennen, um Emotionen hinter Verhalten wahrzunehmen und zu verstehen.

Genau darauf möchte Frau Saalfrank auch hinaus, wenn sie sich danach mit uns die Grundemotionen wie Wut, Trauer, Freude etc. anschaut und erklärt, dass es unsere Aufgabe als Eltern ist unsere Kinder darin zu begleiten. Durch diese Co-Regulation lernen Kinder mit ihren Emotionen umzugehen und ihren innerlichen Stress herauszulassen. Dies beginnt schon bei kleinen Babys.

Sie sagt, dass Eltern das intuitiv oft „richtig“ machen wollen, der gesellschaftliche, oft auch schulische, Druck führen jedoch oft zu Verunsicherung und Machtkämpfen. Schlechtes Verhalten und schlechte Zensuren werden von außen und von den Eltern selbst oft so gedeutet, dass die Eltern vermeintlich „schlecht erziehen“, Druck und Handlungszwang entstehen, Strafen werden verhängt, um diesem inneren und äußeren Druck gerecht zu werden. Denn die Botschaft an die Eltern ist, wie sie sagt: „strafe ich nicht, wird mein Kind asozial“.

Fotografie: Anne Siedentopf


Damit kommt Katharina Saalfrank endgültig beim Kernthema Strafen an und nimmt vorweg, dass mit dem schönen Wort „natürliche“ Konsequenz auch oft nichts anderes als eine Strafe gemeint ist. Also prinzipiell ein manipulativer Umgang mit Kindern. Dabei ist die Konsequenz, wenn ein Glas umkippt nicht, dass das Kind das Wasser aufwischen muss, sondern dass das Glas leer ist.

Sie stellt erst mal vor, welche Grundannahmen sie beim Thema "Kindheit ohne Strafen" voraussetzt:

  1. Kinder sind Teamworker (auch wenn jetzt vielleicht einige denken: „meine nicht“)
  2. Kinder wissen viel viel weniger als wir
  3. Kinder haben ein viel kleineres Nervensystem als wir und sind schnell überfordert


Und damit ist sie auch schon mitten in der Erklärung von fehlender Zusammenarbeit seitens der Kinder. Kinder machen meist nicht das was man ihnen sagt, wenn sie zum einen überfordert sind (zum Beispiel durch Müdigkeit oder eben emotionale und kognitive Weise) oder wenn sie vorher gekränkt wurden. An dieser Stelle verweist sie wieder auf den Anfang. Denn wenn ich als Elternteil möchte, dass das Kind meine Grenzen wahrt, muss ich auch seine achten. Strafe ist aber ein Machtmissbrauch, demütigend, verhindert Beziehung und erzeugt Ängste. Da dürfen sich Eltern, laut der Pädagogin, auch nicht wundern, wenn Kinder beginnen zu lügen und kein Vertrauen mehr haben, sich mit eigenen Themen und Fragen an sie zu wenden.

Fotografie: Anne Siedentopf


Wichtig ist ihr auch zu erklären, dass diese Zusammenhänge nicht nur ihr wichtig sind und in ihrer Arbeit deutlich geworden, sondern dass es ebenfalls wissenschaftliche Erkenntnisse dazu gibt. Man hat unter anderem herausgefunden, dass Strafen und emotionaler Ausschluss („Geh auf dein Zimmer“) im Gehirn genauso wirken wie körperlicher Schmerz und dafür sorgen, dass Teile des emotionalen Systems verloren gehen. Um sich zu schätzen kappt das Gehirn bestimmte Empfindungen, wenn es zu schmerzhaft wird und so kann auch Empathie nicht mehr gut entwickelt werden. Das betrifft sowohl Empathie für andere als auch Selbstemphathie. Übrigens ist das ein entscheidender Punkt warum wir teilweise nicht mit unseren Kindern mitfühlen und Strenge walten lassen, weil wir es selbst nicht erfahren haben und unsere Selbstempathie lieber gekappt haben. Es ist also an der Zeit wieder mitfühlender mit uns und anderen zu werden.

Nach diesen vielen Informationen und theoretischen Erkenntnissen stellt Frau Saalfrank zum Schluss noch ein Beispiel der kleinen vierjährigen Lea vor und bietet uns damit eine Alternative zum herkömmlichen Muster von Erziehung.

Fotografie: Anne Siedentopf


Lea und ihre Mutter haben jeden Abend Streit ums Aufräumen und nach Monologen, Belohnung, Bestrafung sowie Eskalation sind sowohl Lea als auch ihre Mutter sehr unzufrieden. An diesem Punkt hat Frau Saalfrank Leas Mutter ein „Kakao-Küchen-Gespräch“ vorgeschlagen.

Sie schlägt also vor sich in einer ruhigen Minute, fern vom Streitgeschehen, zusammen zu setzen und das Thema zu besprechen. Dabei ist die erste Herausforderung für uns Eltern das Verständnis, sich zuzuhören und herauszufinden, was auch das Kind zu dieser Situation denkt und auch selbst zu erzählen und auf Fragen des Kindes ehrlich zu antworten. Dabei muss dieses Gespräch nicht sofort zur abgeschlossenen Lösung führen, es ist ein Prozess.

Nachdem Lea und ihre Mutter herausgefunden haben was beiden wichtig ist (Lea: Erbautes auch stehen lassen zu können, Mutter: sich nicht beim Gehen im Kinderzimmer zu verletzen), konnten sie einen Kompromiss finden  (Lea räumt einen „Weg“ frei und wenn nicht winkt die Mutter von der Tür zum Gute-Nacht-Sagen).

Übrigens ein guter Trick zur Überprüfung: Lea wollte wissen, warum sie aufräumen muss und Papa nicht? Genau! Fragen wir uns doch einfach öfter, ob wir so auch mit unserem Partner reden würden ;)

Nach dem Vortrag können einige aus dem Publikum noch Fragen stellen und dann kann man ihre Bücher erwerben und eine Widmung von Frau Saalfrank bekommen. Ich ergreife die Chance, ganz am Rand sitzend, kaufe mir das Buch zum Vortrag und husche schnell raus in die Sonne zu meiner Familie.

Bis jetzt konnte ich ein wenig quer lesen und es liest sich so angenehm, wie Frau Saalfrank erzählt. Somit kann ich sowohl den Vortrag als auch das Buch empfehlen. Letzteres finde ich eine schöne Ergänzung, da aufgrund der Zeit die praktische Umsetzung des „ohne Strafen“ ein wenig zu kurz kam, im Buch aber verschiedene Beispiele aufgeführt werden. Wer in einer anderen Stadt dieser Vortragsreihe also die Gelegenheit hat, sollte hingehen J


Eure Anne


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