Donnerstag, 6. April 2017

Mit Emotionen umgehen – Warum Trost für unsere Kinder so wichtig ist

#Emotionsregulation #trösten #einfühlsam #bedürfnisorientiert

Fotografie: pixabay/ pexels



Bei fast jedem Spielplatzbesuch beobachte ich wie Eltern auf ihre traurigen oder weinenden Kinder mit Durchhalteparolen oder Ablenkungen reagieren und auf diese Weise versuchen sie dazu anzuregen, weiterzuspielen und ihren Emotionen keine Beachtung zu schenken. Jedes Mal denke ich: „Bitte nehmt euer Kind auf den Arm oder hört ihm kurz zu.“ Warum ich das denke und warum die Fähigkeit des Trostspendens für unsere Kinder so wichtig ist, möchte ich in diesem Text erklären.

Was ist Trost überhaupt?

Bei Wikipedia und im Duden wird Trost als etwas beschrieben, was jemand einem Anderen schenkt, wenn der Andere traurig ist, weil er körperlich oder seelisch verletzt wurde. Es ist ein Vorgang zwischen (meist zwei) Menschen und zeigt sich in Gestik, Mimik und Sprache. Dabei hat Trost zum Ziel, den Traurigen in seinem Schmerz zu helfen und sein Leid zu lindern.

Unter Erwachsenen ist es in der Regel ein ganz natürliches Verhalten einen Anderen zu trösten. Also wenn jemand weint, ein Taschentuch zu reichen, ein nettes Wort zu sagen oder einfach auch denjenigen zu umarmen.


Warum ist es so verbreitet Kinder nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Erwachsenen Trost entgegenzubringen?

Diese Frage beschäftigt mich sehr und nach allem, was ich bisher gelesen habe, sehe ich einen großen Zusammenhang zwischen der Geschichte der Erziehung in Deutschland und dem Erziehungsverhalten der Eltern bis heute.

In der Zeit des NS-Regimes und auch noch danach gab es ein Buch, was sehr populär war: „Die Mutter und ihr erstes Kind“ von Johanna Haarer, welches den natürlichen, artgerechten, intuitiven Umgang mit Babys und Kindern sehr stark beschnitt, Verwöhnen zum Schimpfwort und die Erziehung in Deutschland wesentlich „härter“ machte.

Wenn ihr möchtet, könnt ihr hier mehr dazu erfahren:

        


Da Erziehung in der Regel von Generation zu Generation weitergegeben wird und auch wenn wir unsere Kinder längst nicht mehr nach den Maximen dieses Buches aufwachsen lassen, hat es doch in den meisten Köpfen eine gewisse Angst vor Verweichlichung und zu viel Entgegenkommen geschürt. Diese Angst findet sich auch in neueren Buchtiteln wie: „Warum unsere Kinder Tyrannen werden“ wieder.

Obwohl gerade im Babyalter, aufgrund von Studien und harter Arbeit vieler bedürfnisorientierter Vertreter, inzwischen Nicht-Schreien-Lassen, Stillen, Tragen und liebevolles Eingehen auf die Signale des Babys fast normal geworden sind, wechselt der Elternmodus um den 1. Geburtstag herum oftmals prompt in Richtung Erziehung. Dennoch benötigen auch Kleinkinder sowie ältere Kinder Beziehung, Verständnis und in Bezug auf mein heutiges Thema: Trost.


Warum ist Trost für unsere Kinder so wichtig?

1) Kinder entwickeln mit Hilfe von Trost emotionale Kompetenz

Der Erwerb von emotionaler Kompetenz wird als wichtige Entwicklungsaufgabe betrachtet. Dazu benötigen Kinder primäre Bezugspersonen (z.B. Eltern), welche ebenfalls emotionale Kompetenzen besitzen, um diese zu erlernen. Dies ist also ein eindeutiges Lernfeld zwischen Eltern und Kindern. Indem Eltern bei negativem Stress liebevoll und bestärkend auf das Kind eingehen, können sie vermitteln, wie es mit negativen Emotionen umgehen kann. Kinder erwerben auf diese Weise verschiedene Strategien, also emotionale Kompetenz, für den Umgang mit herausfordernden Emotionen.

2) Für den Umgang mit Emotionen (Emotionsregulation) erlernen Kinder nach dem Vorbild der Eltern Bewältigungsstrategien

Diese emotionale Kompetenz und Emotionsregulation lernen Kinder in Phasen. Während Babys noch die vollständige Co-Regulation (z.B. durch Trösten) der Eltern benötigen, entwickeln Kleinkinder dann in ersten kleinen Situationen Selbstregulation; auch wenn sie weiterhin hauptsächlich auf das Eingehen der engsten Bezugspersonen angewiesen sind. Bis zum Grundschulalter baut sich diese Fähigkeit immer weiter aus und um das 6. Lebensjahr herum verfügen Kinder dann meist über verschiedene Strategien, Kummer und Sorgen ohne Hilfe von außen bewältigen zu können. Natürlich heißt dies nicht, dass uns Kinder dann nicht weiterhin beim Erlernen im Umgang mit Emotionen und Trost brauchen würden.

Je vielfältiger und kompetenter die emotionale Kompetenz der Eltern ist und je besser sie auf ihre Kinder an dieser Stelle eingehen können, desto besser werden Kinder Selbstregulation erlernen. Eltern und andere Bezugspersonen sind hier der Maßstab für Entwicklungsmöglichkeiten und das Erlernen von Strategien.

Bieten Eltern eher destruktive Lösungsansätze wie Vermeidung, Leugnung oder Ablenkung an, übernehmen Kinder diese. In Untersuchungen hat man herausgefunden, dass dies erst einmal zu einer schnellen Erleichterung führt, aber langfristig keine erfolgreiche Bewältigungsstrategie, also keinen langfristigen positiven Effekt im Umgang mit Emotionen habe. Fürchtet sich ein Kind beispielsweise vor einem entgegenkommenden Hund und die Eltern entscheiden sich für die Strategie der Vermeidung, indem sie die Straßenseite wechseln, ist die Angst möglicherweise recht schnell verschwunden, aber die Ursache oder der langfristige Umgang mit der Angst vor großen Hunden nicht sinnvoll bearbeitet. Würden die Eltern das Kind nun an die Hand nehmen, die Situation erklären und in den Gefühlen begleiten, während der Hund vorbeiläuft, lernt das Kind verschiedene Strategien kennen und hat zusätzlich ein positives Ergebnis, dass der Hund ihm nichts getan hat.

Echter Trost, anbieten von Bewältigungsalternativen sowie Sprechen über die Situation helfen dem Kind einen wirklich konstruktiven Umgang mit Emotionen und Gefühlen mit Hilfe der Eltern und anderer Bezugspersonen zu erlernen, der seinen eigenen Umgang nachhaltig bis ins Erwachsenenleben prägen wird.

3) Trost trägt dazu bei, dass Kinder sich gesund entwickeln und lernen können

Bei der Geburt eines Kindes ist das Gehirn noch nicht fertig entwickelt. Daher benötigen Babys und Kinder Unterstützung von Erwachsenen, wenn Gefühlsstürme ihr Nervensystem durcheinanderwirbeln. Bis zum 4. Geburtstag ist bei Kindern überwiegend der emotionale Teil des Gehirns (welcher schnell aus dem Gleichgewicht geraten kann) und weniger der kognitive, vernünftige Teil des Gehirns aktiv.

So werden bei Stressreaktionen hohe Mengen Adrenalin, welches hohe Herzfrequenz, erhöhten Blutdruck, schnelle Atmung, Muskelanspannung und Schweiß auslöst, ausgeschüttet. Das Baby oder Kind ist mit dieser Menge an Reaktionen, seelisch als auch körperlich, überfordert und kann diese nicht selbst regulieren. Erst das Beruhigen durch die Eltern und andere Bezugspersonen fährt das System herunter bzw. bringt es zum Stoppen.

Evolutionär war diese intensive Stressreaktion (z.B. Weinen) wichtig, damit Babys und Kinder nicht aus Versehen allein im Wald zurückgelassen wurden - wie ein lautes Alarmsystem eben. In unserer sehr viel sichereren Welt ist es vielen Eltern aber oft unangenehm und wird von uns meist nicht mehr als ganz so nützlich betrachtet. Trotzdem ist es ein wichtiges Reaktionsmuster von Kindern, um zu lernen mit diesen umzugehen.

Trost ist außerdem nötig, da der ausgelöste Stress auch zu Stress im Gehirn führt und besonders bei lang anhaltendem Kummer (z.B. langem Weinen) schädlich für das Nervensystem werden kann. Dieses kann sich dann nicht mehr ungehindert entwickeln und lernen. Ähnlich als würden unsere Kinder in einer Chemiefabrik spielen, in der die Dämpfe eine gesunde Entwicklung behindern. Wie auch der bekannte Gehirnforscher Gerald Hüther betont, braucht das kindliche Gehirn vor allem Liebe und eine förderliche Umgebung, um sich positiv zu entwickeln und gut lernen zu können.

Ist das Gehirn öfter solchem längeren Stress ausgesetzt, entwickeln Kinder oftmals ein sehr überempfindliches Stressreaktionssystem und sind laut Studien anfälliger für Depressionen, Angststörungen, psychosomatische Erkrankungen und Alkoholmissbrauch. Gehirnsscans zeigten, dass dann sogar Teile des Gehirns, welche für das Langzeitgedächtnis von Bedeutung sind, schrumpfen.

4) Aufgrund des Erlernens von emotionaler Kompetenz bleiben Kinder auch noch als Erwachsene psychisch gesund

In mehreren Untersuchungen konnte ein Zusammenhang zwischen einem kompetenten Umgang mit Emotionen und psychischer Gesundheit festgestellt werden. Bei fast allen psychischen Störungen wurden fehlende oder nicht erfolgreiche Strategien der Emotionsregulation beobachtet. Und diese erlernt man eben, wie oben erwähnt, von kompetenten Bezugspersonen.

Zudem ist mittlerweile bekannt, dass Stress krank machen kann und auch eine falsche Bewältigungsstrategie bei Kummer und Sorgen, in Form von Verdrängung oder Abspaltung krank machen kann. Letzteres passiert häufig als Folge von fehlendem, angemessenem Trost auf Traurigkeit oder Weinen eines Kindes. Das Kind lernt dann, dass seine Gefühle nicht wichtig und auch das Ausdrücken der Gefühle nicht wichtig ist. Wenn Kinder es nicht gelernt haben adäquat mit ihren Gefühlen umzugehen, sie zu bewältigen (zu regulieren) und einzuordnen, dann können sie ihre Gefühle und Emotionen meist auch nicht im späteren Erwachsenenalter steuern, was sowohl persönlich als auch für soziale Kontakte nicht ohne Folgen bleibt. Emotionale Kompetenz ist die Basis für eine gesunde Beziehungspflege zu sich selbst und zu anderen.


Wie kann ich als Elternteil empathisch trösten?

Als Erstes ist es wichtig, Kinder in ihrem Gefühl (besonders bei Traurigkeit und Ängsten) ernst zu nehmen und sich auf die Gefühls- und Erlebenswelt des Kindes einzulassen. Das soll heißen, dass unsere Reaktion als Eltern unabhängig davon sein sollte, wie „schlimm“ die Ursache des Gefühls aus unserer Sicht ist. Wenn ein Kind (insbesondere bis 4 Jahre) weint, ängstlich ist oder anderweitig Gefühle zeigt, ist dies kein „Schauspielern“ oder Kalkül, sondern echte, erlebte Emotion.

Natürlich muss an dieser Stelle auch keine Situation unnötig dramatisiert oder psychologisiert werden. Einfühlsames und sachbezogenes Sprechen durch Beschreibung der Situation mit eigenen Worten sowie Benennen und Erklären von Gefühlen helfen schon kleinsten Kindern ihre Gefühle einzuordnen und sich zu beruhigen. Gefühle und Emotionen dürfen zugelassen werden und müssen nicht weggeredet werden.

Besonders körperliche Nähe wie Umarmen, Hochnehmen, Streicheln helfen Kindern in aufgebrachten Situationen enorm. Die Körpernähe und die damit ausgeschütteten Hormone und Botenstoffe beruhigen das Nervensystem des Kindes rasch und wirken sich positiv auf das Trösten aus. Durch die körperliche Wärme wird im Gehirn Oxytocin ausgeschüttet, welches wiederum im Körper Wohlbefinden erzeugt. 

Die Nähe kann man dann auch wunderbar mit einem Lied, einem Spruch oder einem Ritual (z.B.: Pusten) verbinden. Besonders Babys und Kleinkinder lassen sich von rhythmischen Bewegungen, Geräuschen und Lieblingskuscheltieren noch gut beruhigen.


Zusammenfassung

Trost und einfühlsames Verhalten von Eltern, also bedürfnisorientiertes Aufwachsen, sind kein Trend, sondern entwicklungspsychologisch sinnvoll. Viele Untersuchungen bestätigen den ersten Impuls den Eltern oft haben: nämlich auf ihre Babys und Kinder mitfühlend einzugehen. Damit verhindern sie, dass Sorgen und Ängste das kindliche Nervensystem schädigen und sich eventuelle Auffälligkeiten, fehlende Bewältigungsstrategien oder gar psychische Erkrankungen daraus entwickeln.

Je kleiner Kinder sind, desto mehr Co-Regulation, also Unterstützung, durch die Eltern, werden benötigt und auch insgesamt bilden Eltern und andere nahe Bezugspersonen den Maßstab für das Erlernen emotionaler Kompetenz. Solange Kinder gezielt die Unterstützung und den Trost bei Eltern und anderen suchen, ist es für Kinder auch wichtig, in ihrer emotionalen Entwicklung unterstützt zu werden.

Trösten kann auf verschiedene Art und Weisen passieren. Körperliche Nähe hilft Kinder besonders sowie das Erklären der vorhandenen Gefühle.


Wie macht ihr das mit dem Trösten? Was hilft euren Kindern, was mögen sie besonders beim Getröstet-werden?


Eure Anne



Quellenangaben:

Oerter, Montada: Entwicklungspsychologie. 5. Auflage, Beltz Verlag.











2 Kommentare:

  1. Hallo Anne,
    wieder ein schöner, wahrer Text! Dankeschön.
    Was denkst du, welchen Einfluss das Umfeld hat? Bei uns ruft garantiert eine andere Mama oder die Oma, der Opa "Nichts passiert!" u.ä. Ich sage, dann immer zu ihnen, dass der Kleine uns schon sagt, ob wirklich nichts passiert ist und bekomme dafür seltsame Blicke. ;)
    Schönes Wochenende
    alhena

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  2. Liebe alhena,

    also ich finde es schon mal schön, dass du versuchst es deinem Umfeld zu erklären :) Ich versuche das auch immer, aber das ist nicht so einfach und habe teilweise ähnliche Blicke geerntet...inzwischen versuche ich Omas, Opas einfach mal machen zu lassen, wie sie das für richtig halten (also natürlich in dem Rahmen, dass es unserer Tochter noch gut geht). Bei Jesper Juul habe ich schön öfter gelesen, dass es für Kinder auch eine große Bereicherung ist, zu merken, dass Menschen sehr unterschiedlich sind, reden und handeln und sie so sehr viel für ihr Leben lernen und an sozialer Kompetenz mitnehmen können. Ich denke, dass wir als Eltern die "Haupteinflussquelle" sind und eine empathische Reaktion wichtig ist und wenn Verwandte oder andere Betreuungspersonen mehr Zeit der Betreuung übernehmen, dann würde ich das direkt kommunizieren. Vielleicht kann man unabhängig eine "akuten Trostsituation" einfach mal fragen, warum derjenige dann mit "Nichts passiert" reagiert und vielleicht erklären, warum du es so und so machst und dir das wichtig ist. Ich wünsche dir auch noch eine schöne Woche!

    Liebe Grüße, Anne von Herzensbande.

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